Frauen am Rande (2. Advent)

  • Lk 1,5-55
  • Jes 7,14; 9,2-7
  • Röm 12,1-2

Stell dir eine Frau in der Antike vor, die sich ihr ganzes Leben danach gesehnt hatte, Kinder zu kriegen. Sie heiratete jung, vielleicht etwa mit fünfzehn Jahren. Mit sechzehn war sie immer noch nicht schwanger. Mit zwanzig, noch immer nicht schwanger. Stell dir vor, wie sie mit fünfundzwanzig betete. Stell dir ihre Unruhe vor, wie sich bei ihr mit dreissig ihre Gebete vermischten mit Tränen der Scham und Enttäuschung – über sich selbst, über ihren Ehemann. Stell dir vor, wie sie mit vierzig die Hoffnung verlor und sie sich fragte, ob es überhaupt Sinn mache zu beten. Stell dir ihr Gefühl des Verlusts und ihr Bedauern mit fünfzig vor. Warum jetzt noch beten?

Natürlich, das war die Geschichte von Abrahams Frau, Sara, aus dem Buch Genesis. Diese antike Geschichte hallt im Lukasevangelium nach. Lukas erzählt uns von einer Frau, die Elisabeth hiess und die mit dem Priester Zacharias verheiratet war. Sie beteten um ein Kind, aber keines kam. Jahr um Jahr verging. Eines Tages, als Zacharias gerade seinen priesterlichen Pflichten nachging, hatte er eine Vision. Er sah einen Engel, einen Boten Gottes. Dieser sagte ihm, seine Gebete um einen Sohn seien erhört worden. Wenn Elisabeth ihr Kind bekäme, sollten sie es Johannes nennen. Zacharias konnte es nicht glauben. „Ich bin ein alter Mann“, sagte er „und auch Elisabeth hat ihren Lenz hinter sich“. Der Bote kündigte ihm an, dass er wegen seiner Skepsis stumm bleiben müsse, bis das verheissene Kind geboren sein würde.

In gewisser Weise sind die Geschichten von Sara und Elisabeth ein Bild für die Erfahrung des jüdischen Volkes. Die Propheten hatten Israel dazu inspiriert, von einem besseren Tag zu träumen. In ihren Prophetien wiederholten sie die erste Verheissung an Abraham, dass alle Menschen an allen Orten durch Abrahams Nachkommen gesegnet würden. Aber die Erfüllung dieser Verheissungen und Prophezeiungen liess so lange auf sich warten, dass es geradezu lächerlich erschien, diesen Traum weiter am Leben zu erhalten.

Wir alle erfahren zeitweise ähnlich frustrierende Momente, Enttäuschungen, Unruhen und Verzweiflung: Wir spüren, dass wir die Fähigkeit hätten, etwas Wunderschönes, Gutes, etwas Wunderbares und Nützliches zu schaffen. Aber unser Potential bleibt unausgeschöpft oder unsere vielversprechenden Hoffnungen schlagen fehl. Manchmal gelangen wir deshalb bis zum Rand der Verzweiflung oder gar darüber hinaus.

Doch dann passiert das Unmögliche.

Elisabeth hatte eine junge Verwandte, Maria. Diese war verlobt, aber noch nicht verheiratet (Bezeichnenderweise war sie ein Nachkomme von König David. An der Erinnerung an diesen König entzündete sich immer wieder Israels Hoffnung auf einen neuen König, der David ähnlich war und der die verheissenen Tage endlich herbeiführen würde, auf die man so lange gehofft hatte). Als Elisabeth etwa im sechsten Monat schwanger war, erschien auch Maria ein Engel – wie es sich herausstellte, war es derselbe, der schon Zacharias erschienen war. „Sei gegrüsst, Begnadete!“ sagte er. „Der Herr ist mit dir!“ Maria war erstaunt und verwirrt über diesen Gruss, wie es wohl jedem von uns erginge.

Der Bote sagte weiter: „Fürchte dich nicht, Maria. Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären…“ Und die Worte des Boten wiederholten die Verheissungen der Propheten aus den vergangenen Jahrhunderten – Verheissungen eines Führers, der das Volk in die verheissene Zeit führen würde. Maria fragte: „Wie soll das geschehen, da ich noch Jungfrau bin?“ Der Engel antwortete, dass der Heilige Geist über sie kommen werde, sodass sie das Kind durch die Kraft Gottes empfangen werde. Und er fügte hinzu, dass Elisabeth, ihre alte und unfruchtbare Tante ebenfalls schwanger war. „Bei Gott ist nichts unmöglich“, sagte er.

Viele von uns heute vermuten, dass Lukas diese Geschichte erfunden hat, um Jesajas Prophetie aufzunehmen, die davon handelt, dass eine Jungfrau einen Sohn gebären werde – genauso, wie er die Geschichte von Elisabeth erfunden habe, um die Geschichte von Sara aufzunehmen. Es ist verführerisch einfach, beide Geschichten schnell als primitive, vorwissenschaftliche Legenden abzuhaken. Trotzdem, beide Geschichten scheinen schlicht unmöglich für wissenschaftlich geprägte Geister.

Aber was ist, wenn genau dies ihre Pointe ist? Was ist, wenn ihr Zweck genau der ist, die Grenze zwischen dem Denkmöglichen und –unmöglichen zu verwischen? Erreichen wir tatsächlich jemals den Moment, in dem die Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, in dem die räuberischen Machthaber – die Löwen – sich im Frieden zusammen mit den Verletzlichen und Armen – den Lämmern – niederlegen, in dem Gottes Gerechtigkeit sich wie ein Fluss in die tiefsten und gottverlassensten Orte der Erde ergiesst, in dem alle mit zerbrochenem Herzen getröstet werden und die Armen frohe Botschaft erhalten? Wenn du denkst: „Niemals – das ist unmöglich“, dann solltest du vielleicht nochmals darüber nachdenken. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, dass etwas Wunderschönes geboren werden kann. Vielleicht ist es auch nicht mehr zu früh dazu. Vielleicht ist der jetzige Moment erfüllt von Möglichkeiten, die wir weder sehen, noch uns vorstellen können.

So betrachtet ist die tatsächliche Pointe dieser Geschichten eine Herausforderung für uns alle – egal, was wir von ihrer historischen Gegebenheit halten: Wage zu hoffen wie Elisabeth und Maria, dass das scheinbar Unmögliche möglich ist! Diese Geschichten fordern uns dazu heraus, unser Leben auf die unmöglichen Möglichkeiten auszurichten, die im Jetzt verborgen sind, in dieser „schwangeren Zeit“.

Das Bild einer Jungfrauengeburt hat noch weitere Bedeutungen. Die Herrscher der antiken Reiche haben sich gerne als übermächtige Gottmenschen dargestellt. Pharaonen und Cäsaren waren Gottessöhne. In ihnen verband sich die gewaltsame Macht der Götter mit der gewaltsamen Macht der Menschen, um eine übermenschliche Supergewalt zu erschaffen, die es ihnen erlaubte, supergewaltige Nationen zu kreieren. Doch hier, in unserer Geschichte, lädt Gott eine junge Frau sanft und ohne jeden Druck dazu ein, ein Kind zu bekommen, das nicht für seine Gewalt, sondern für seine Güte bekannt sein wird. Damit wird das Bild von Herrschaft radikal verändert! Der Führer herrscht hier nicht mit der maskulinen Macht von Schwertern und Speeren, sondern mit dem mütterlichen Sinn für Gerechtigkeit und Mitgefühl.

Lukas‘ Geschichte der Geburt Jesu zeigt uns, dass Gottes Macht die schöpferische feminine Macht auf der Ebene des Einzelnen ist und nicht die gewalttätige maskuline Macht auf der Ebene des Staates. Es zeigt sich also, dass es bei der Lehre der Jungfrauengeburt nicht darum geht, die Sexualität auszuklammern, sondern die Gewalt zu untergraben. Die gewaltsame, patriarchalische Macht, die von oben herab wirkt, wird nicht durch Gegenwalt überwunden, sondern durch die schöpferische Macht der Kreativität. Was stolze Männer als schwaches Geschlecht bezeichnet haben, das hat Gott für sich auserwählt, damit er durch es in die Welt kommen und diese verändern kann. Maria hat das verstanden:

Gott hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut… 

Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; 

er stürzt die Mächtigen vom Thron

und erhöht die Niedrigen.

Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben

und lässt die Reichen leer ausgehen.

Lk 1,48.51-53

So stellt sich Maria dem Heiligen Geist zur Verfügung, um zu empfangen und mit Gottes schöpferischer Kraft zusammenzuarbeiten. Sie gibt sich hin und empfängt. Sie hegt und pflegt und gibt alles her… denn sie wagt es zu glauben, dass das Unmögliche möglich ist. Ihr Sohn Jesus wird ihre Selbsthingabe und Empfänglichkeit gegenüber Gott konsequent wieder abbilden und er wird die einsichtige, mütterliche Güte der gewalttätigen, staatlichen Blindheit strikte vorziehen.

Das ist es, was es bedeutet, im Abenteuer Jesu lebendig zu sein. Wir stellen uns Gott zur Verfügung – unsere Körper, unsere Geschichten, unsere Zukunft, unsere Möglichkeiten, sogar auch unsere Begrenzungen. „Hier bin ich“, sagen wir mit Maria, „ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Wort.“

So lasst uns in dieser Adventszeit – in dieser Zeit des Wartens und Nachdenkens über Gottes Kommen in Christus – eine Kerze für Maria anzünden. Und lasst uns in unseren Herzen den Mut haben, das Unmögliche zu glauben, indem wir uns Gott hingeben und mutig mit Gottes schöpferischer und fruchtbarer Macht zusammenarbeiten – in uns, für uns und durch uns. Wenn wir dies tun, dann werden wir wie Maria schwanger mit heiliger Lebendigkeit.

 

Mach mit

  1. Welcher Gedanke oder welche Idee der heutigen Lektion hat dich speziell fasziniert, provoziert, verwirrt, herausgefordert, ermutigt, erwärmt, gewarnt, gestärkt oder überrascht?
  2. Erzähle die Geschichte von einer Frau in deinem Leben, die dich stark beeinflusst hat.
  3. Wie reagierst du auf diese Denkansätze zur Jungfrauengeburt?
  4. Für Kinder: Erzähle von einem Moment, wo du eine freudige Überraschung erlebt hast.
  5. Werde aktiv: Beginne jeden Tag dieser Woche mit Marias Hingabegebet „Mir geschehe nach deinem Wort“. Formuliere dies in deinen eigenen Worten! Lass diese Woche eine Woche sein, in der du dein Leben Gott zur Verfügung stellst, damit „heilige Lebendigkeit“ in dir wachsen kann.
  6. Meditiere: Zünde eine Kerze an und halte folgende Worte für ein paar Minuten still in deinem Herzen: „Hier bin ich. Ich bin die Magd des Herrn.“ Versuche, in der nächsten Woche möglichst oft zu diesen Worten zurückzukehren.